17.01.22

Mit der Zeit gehen!

Liebe Freunde, Fans und Interessierte der Torwartschule Emsland.


Zunächst einmal möchte ich euch ein gesundes, erfolgreiches Jahr 2022 wünschen.


Wir alle mussten in dieser Zeit einige Einschränkungen hinnehmen. Dafür entschädigte uns der gemeinsame Spaß am Fußball immer dann, wenn es möglich war.


Die besonders hohe Nachfrage nach einer modernen Torwartausbildung von qualifizierten Torwarttrainern hat aber wohl weniger mit Corona und mehr mit dem Wunsch zu tun, mit der Zeit zu gehen.


War der Torwart früher lediglich eine Position, in der er auf den gegnerischen Torschuss oder einem 1 gegen 1 reagierte, soll der heutige Torwart auch präventiv verteidigen und beim Spielaufbau helfen können. Dazu soll er rechtzeitig dorthin gehen, wo er gebraucht wird. So wird von ihm ein vorausschauendes Handeln genauso erwartet, als dass er alles das mit dem Ball am Fuß genauso schnell und technisch perfekt kann, wie seine Mitspieler. Dass das noch nicht überall der Fall ist, lässt sich in den Torwartpatzern, die wir selbst im Profifußball Woche für Woche beobachten und zeigt die Notwendigkeit auf, dass die Torwartausbildung mit der Zeit gehen muss!



Wer mit der Zeit gehen will, stellt sich folgende Fragen:


1. Der Werdegang vom Torwart damals und heute?


Früher legte allein der Trainer die Position in seiner Mannschaftsaufstellung fest. Während sich die Feldspielerpositionen durchaus im Laufe der Zeit verändern konnten, wurde der Torwart schon sehr früh als Stammposition festgelegt. Die Motive dazu mögen unterschiedlich sein. Zumeist war es der Trägste und Faulste der Mannschaft, den man ins Tor stellte, damit er die anderen nicht beim Fußball störte. Denn als Feldspieler hätte er die Mannschaft geschwächt.


Manchmal durfte aber auch ein guter Feldspieler ins Tor. Warum eine Übereinstimmung beider Profile sehr gute Voraussetzungen für die weitere Entwicklung bietet, darauf möchte ich später noch eingehen. Zunächst soll der Einfluß der Torgröße auf den Abwehrerfolg beobachtet werden.



A. Kleinfeldtor (5x2m)

Altergruppe:Abwehrchance:
Minikicker:gering
F - E-Jugend:durchschnittlich
D-Jugend:hoch

Gerade, weil die Abwehrchance auf einem Kleinfeldtor für einen D-Jugend-Keeper des älteren Jahrgangs hoch ist und deshalb kaum Tore aus der Distanz erzielt werden, wird die Umstellung beim Wechsel in die C-Jugend auf dem Großfeldtor sehr groß sein. Hinzu kommt, dass mit dem Einsetzen der Pubertät die Größe und Schußhärte der Gegner deutlich zunimmt.


B. Großfeldtor (7,32 x 2,44m)

Altergruppe:Abwehrchance:
C-Jugend:gering
B-Jugend:durchschnittlich
A-Jugend:hoch


2. Torwartaufgaben damals und heute?


Meist bekommt man im Training oder vor dem Wettkampf ein paar Bälle zu halten. Aber das ist ja nur ein ganz kleiner Teil der Torwartaufgaben.


Froh ist deshalb jeder, der einen Torwarttrainer hat. Sehr viele waren früher selbst Torhüter. Doch hat sich vieles verändert. Hier ist mal eine kleine Übersicht:


Früher:Heute:
Lederball, bei Nässe wird er schwerKunststoffball mit eigenen Flugeigenschaften
Torverteidigung meist an der TorlinieTorverteidigung beginnt schon in der eigenen Hälfte
Spieleröffnung hoch und weitSpieleröffnung variabel präzise und richtigen Balldruck


3. Torwartanforderungsprofil früher und heute?


Aufgrund der Veränderungen und zusätzlichen Aufgaben hat sich das Anforderungsprofil des Torwarts verändert. So freut man sich früher und auch noch heute über eine spektakuläre Hechtparade. Aber was nützt es in der Summe, wenn dann der nächste Ball einfach in Tormitte über die Linie rollt, weil sich der Torwart falsch, zu spät oder gar nicht seine Position anpasst? „Denn wer häufig hechtet, der steht meist falsch.“ Denn der Hechtsprung ist nur noch ein letztes Mittel, wenn alles andere nicht mehr geht. Auch hat sich die Bedeutung der Torwartaufgaben verändert:


Merkmal:Früher:Heute:
Größe und Sprungkraft:sehr wichtigwichtig
Fangtechniken:sehr wichtigwichtig
Torabschlag- und abstoß:wichtigsehr wichtig
Ballverarbeitung am Fuß:unwichtigsehr wichtig
Passpräzision und Schusshärte:unwichtigsehr wichtig
Position an der Torliniesehr wichtigsehr wichtig
Position im Strafraum:wichtigwichtig
Position in eigener Hälfte:unwichtigwichtig


4. Torwartausbildung früher und heute


Wer „mit der Zeit gehen will“, der sollte die zumeist ungeprüften Weisheiten des Fußballs prüfen, um daraus neue Erkenntnisse zu gewinnen.


a. Frühe Positionsfestlegung

Neben den bereits genannten Vorteilen einer frühen Stammposition stellt sich die Frage, ob aus vielen Ballkontakten auch automatisch gute Ballkontakte werden? Wenn aber häufig nach dem Wechsel in die C-Jugend sich bisherige Feldspieler auf der Torwartposition ausprobieren dürfen und schon nach der Hinserie manchmal bessere Leistungen als ihre Vorgänger zeigen, so muß die Frage nach guten Erfahrungswerten bezweifelt werden. Doch woran liegt das? Hierzu findet man Erfahrungen in der Schule. Dort entscheidet man sich auch nicht in der ersten Klasse über den späteren Beruf eines Schülers, sondern bildet jeden zunächst einmal sehr breit aus. Erst in einer späteren Phase (Lehre, Studium) findet eine spezifische Schwerpunkt-Ausbildung statt. Doch selbst dann kann es vorkommen, dass dich ein bereits Ausgebildeter später für einen Wechsel in ein anderes Berufsfeld entscheidet.


Fazit:

  1. Alle Teammitglieder für sämtliche Aufgaben im Fußball ausbilden.
  2. Spezielle Positionsausbildung kontinuierlich nach Fähigkeiten und Neigung entwickeln

Doch während Schule seine Schüler zunächst viele Jahre auf ihren späteren Beruf „trainiert“ und erst später eine Aus- und Fortbildung stattfindet, ist der zeitliche Abstand zwischen Training und Wettkampf beim Fußball kurz.


b. Späte Positionsfestlegung

Die späte Positionsausbildung bietet nicht nur den Vorteil, dass jeder alle Aufgaben im Fußball kennenlernen kann, sondern auch später gute Voraussetzungen bietet, wenn seine Fähigkeiten gleich auf mehreren Positionen günstig entwickeln.


Nachfolgend findet man Anhaltspunkte. Weil sich jedoch jeder Spieler anders entwickelt, gibt es nicht nur einen, sondern viele Wege, die jeweils mit den Fähigkeiten und Neigungen abgestimmt werden sollten, damit der Spaß beim Fußball an erster Stelle steht.


Altergruppe:%-Anteil im Training und Wettkampf auf der Torwartposition:
Minikicker:Jeder
F-Jugend:10-15%
E-Jugend:15-25%
D-Jugend:25-35%
C-Jugend:35-50%
B-Jugend:50-75%
A-Jugend:75-95%

Während wir es gewohnt sind, in den unteren und oberen Jugendbereich zu unterscheiden, wird hier auch der geistigen wie sozialen Entwicklung in Schule, Familie und Freundeskreis Rechnung getragen. Denn wir dürfen junge Menschen nicht allein auf ihre Fähigkeiten im Fußball reduzieren, sondern ihre Bedürfnisse insgesamt berücksichtigen.


Die Bandbreite ergibt sich aber auch daraus, als dass es kaum lineare Entwicklungen gibt. Auch können Erkrankungen, Verletzungen oder Wechsel in höhere Alters- oder Leistungsklassen eine individuelle Anpassung erforderlich machen. Manchmal sind es Veränderungen im sozialen Umfeld, z.B. Schulwechsel, Wechsel des Freundeskreises, die mit dem Fußball gar nichts zu tun haben. Sie sollten variabel an die individuelle Situation anpassbar sein, weshalb die %-Angaben der Einsätze auf als Torwart und Feldspieler lediglich eine Orientierung liefern können.


Hierbei mag es auf den ersten Blick erstaunen, dass selbst ein U 19 Keeper noch ein geringer Anteil auf dem Spielfeld stattfinden soll? Wobei ich die besten Erfahrungen auf der gleichzeitigen Ausbildung als Angreifer gemacht haben. Doch das ist nicht weiter überraschend, weil der spätere Stammtorwart im Erwachsenen-Fußball alle torgefährlichen Situationen sowohl aus der Sicht des Torwarts wie auch als Angreifer kennengelernt und dabei wichtige Erfahrungen gemacht hat, wie er einem gegnerischen Angreifer den Torerfolg immer schwerer machen kann. Weniger gute Erfahrungen habe ich mit einem Torwart in der Defensive gemacht. Denn hier sammelt er lediglich Erfahrungen einige Meter vor seiner Stammposition. Jedoch aus dem Blickwinkel eingeschränkter Aufgaben als Innen- oder Außenverteidiger, sodass die Quote neuer Erkenntnisse hier etwas geringer ist.


Zusammenfassung:


Wer nach einer Erklärung sucht, warum ausgerechnet Torhüter wie Jens Lehmann, Manuel Neuer oder Marc-Andre Ter Stegen über viele Jahre sehr hohe Leistungen erzielen konnten, der sollte wissen, dass sie auch hervorragende Feldspieler waren. Lehmann ging sogar bis 16 auf Torejagd, bevor er ins Tor durfte. Manuel Neuer nutzte jede freie Minute als Angreifer und Marc-Andre Ter Stegen startete seine Fußballkarriere ebenfalls als Angreifer. Sie sind jederzeit in der Lage auch außerhalb des Strafraums Bälle zu erobern und präzise Pässe zu um Mitspieler zu passen. Die sonst üblichen Torwart-Patzer findet man bei ihnen nicht.


Wer sich schon lange fragt, was ein Keeper besser machen könnte, als auf der Reservebank zu sitzen, während sein Kollege das Tor hütet, der sollte ihn in der Offensive als Feldspieler einsetzen.


Die moderne Torwartausbildung unterscheidet sich durch eine sehr breite, abwechslungsreiche Ausbildung, in der so wenig Übungen wie nötig, aber so viele Spielformen wie möglich im Training die vielen Facetten des Fußballs praxisnah trainiert werden.


Wer gute Entscheidungen treffen will, der braucht umfangreiche Vorlagen, die er am besten im Training erwerben und im Spiel ausprobieren kann. Denn wenn der Torwart im Training keine ausreichenden situativen Lösungen kennengelernt hat, so wird er sich falsch, zu spät oder gar nicht entscheiden können.


Die Wettbewerbsanforderungen in den letzten 5 – 10 Jahren haben sich verändert. Es gibt viele gute Gründe mit der Zeit zu gehen.



Torwartschule Emsland
Günter Kathmann